Ingeborg Flagge verstarb am 20. Dezember 2024 in ihrer Heimatstadt Bonn. Die Fakultät Architektur und Sozialwissenschaften gedenkt der Archäologin, Kunsthistorikerin und ehemaligen Professorin für Baugeschichte und Baukultur, die von 1995 bis 2000 an der HTWK Leipzig lehrte. „Mitte der neunziger Jahre kam Ingeborg Flagge aus Bonn, um Baugeschichte und Baukultur zu lehren, sie verließ die Hochschule, um als Direktorin des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt wirken zu können“, schrieben wir im Überblick zum Studiengang „LE ARCH Zwanzig12“.
Für fünf Jahre prägte Ingeborg Flagge die Lehre und die Studierenden in Leipzig. In einem kürzlich geführten Gespräch mit der Leipziger Referentin für Baukultur Nora Gitter, einer Alumna, die ihre Vorlesungen Ende der 1990er-Jahre besucht hatte, werden Erinnerungen an eine eindrucksvolle Lehre lebendig: Den David von Michelangelo in der Galleria dell’Accademia Florenz empfahl sie nicht nur anzuschauen, sondern anzufassen, um Kunstgeschichte sinnlich zu begreifen. Außerdem folgten Empfehlungen für den Besuch von Bauten der italienischen Renaissance, die kaum in Reiseführern standen.
Neben Vorlesungen entwickelte Ingeborg Flagge die Vortragsreihe weiter, mit der sich der Studiengang Architektur auch an die breitere Öffentlichkeit wendete. Dominierten in den ersten Jahren nach der Gründung der HTWK und des Studiengangs Architektur 1992 eher lokale Themen in der Serie „Reden über Architektur“, gab sie der Reihe den neuen Titel „positionen“ und erweiterte das Spektrum; europäische und nationale Architekten, Stadtplaner, Ingenieure, Politiker und Kritiker wurden seither regelmäßig mittwochabends eingeladen und ermöglichten den Austausch zu verschiedenen Themenschwerpunkten.
Auch außerhalb des Hochschulkontextes finden sich Spuren der Leipziger Zeit von Ingeborg Flagge wie mit der Publikation „Leipzig: Architektur 1989-1999“, die sie zusammen mit dem Stadtbaurat Engelbert Lütke Daldrup und der Kunsthistorikerin Anette Hellmuth 1999 im Birkhäuser Verlag herausgegeben hat. Die Bauaktivitäten und der Wandel der Stadt in der ersten Dekade nach der politischen Wende werden hier präsentiert. Ein Jahr später verließ sie die Hochschule und die Stadt, um in Frankfurt am Main im Deutschen Architekturmuseum zu wirken.
Im Herbst 2000 wurde ich in ihrer Nachfolge auf die Professur Entwurfsorientierte Baugeschichte und Baukultur nach Leipzig berufen. Kennengelernt haben Ingeborg Flagge und ich uns nicht, obgleich es einen gemeinsam bekannten Architekten gab: Volkwin Marg. Ich hatte mit ihm zuvor im Berliner Büro von gmp an dem Projekt Olympiastadion Berlin gearbeitet. „Architektur ist - natürlich nicht unpolitisch“ ist eine Textsammlung von Volkwin Marg, die er mir 2009 schickte. Herausgeberin war Ingeborg Flagge, die auch das Vorwort geschrieben und ein ausführliches Gespräch mit Volkwin Marg zu Prägungen, Haltungen und Wertvorstellungen geführt hatte. Für meine Lehre interessierten mich außerdem ihre Publikationen wie „Streiten für die menschliche Stadt : Texte zur Architekturkritik“, die sie 1997 herausgegeben hatte und Ausstellungen wie zu Geoffrey Bawa „Genius of the Place. An Architect of Sri Lanka" von 2004. In ihren Texten, Publikationen und Ausstellungen sind wir uns also letztlich begegnet – und die Lektüre ist nach all den Jahren inspirierend.
Annette Menting
Hinweis: Einen ausführlichen Beitrag zu Ingeborg Flagge verfasste der Direktor des Deutschen Architekturmuseums Peter Cachola Schmal auf der Museumswebsite: https://dam-online.de/news/58913/ und bei „Marlowes“, dem Online-Magazin für Qualitätspublizistik in den Bereichen Architektur und Stadt: https://www.marlowes.de/ingeborg-flagge-1942-2024/