...Prof. Dr. Torsten Linke, der seit 1. April 2025 die Professur Sozialarbeitswissenschaft mit Schwerpunkt Einzelfallhilfe bekleidet.
Warum sind Sie Sozialpädagoge geworden?
Da muss ich etwas zurückgehen in meiner Biografie. Ich habe ursprünglich eine technische Ausbildung zum Landmaschinen- und Traktorenschlosser gemacht, habe meine Lehre noch in der DDR begonnen, und habe nach der Wende in den 90er Jahren nochmal die Fachoberschule besucht. In der beruflichen Bildung habe ich mit bildungsbenachteiligten Jugendlichen gearbeitet. Dabei merkte ich, dass mir die Arbeit mit Menschen, in dem Fall auch jungen Menschen, Jugendlichen, jungen Erwachsenen, viel Spaß macht. In dem Projekt waren auch Sozialarbeiterinnen. Den Zugang, nicht nur von der technischen Seite, sondern auch eher sozialer mit Jugendlichen zusammenzuarbeiten, den fand ich gut. Nach meinem Zivildienst und der Arbeit im Obdachlosenheim stand für mich fest, ich will auf jeden Fall Soziale Arbeit studieren.
Inwiefern hat Ihnen Ihre Ausbildung weitergeholfen?
Was ich mitgenommen habe aus dem Beruf, den ich gelernt habe, und ich habe ja auch ein paar Jahre in technischen Berufen gearbeitet, ist an gewisse Lösungen pragmatisch heranzugehen. In der sozialen Arbeit versuchen wir bestimmte Methoden, Techniken, Verfahren einzusetzen, um eben soziale Fragen, soziale Probleme zu lösen. Und diese Herangehensweise und diese Struktur mitzubringen, das war ganz gut und hat mir durchaus im Beruf und auch bei der Promotion geholfen.
Was möchten Sie Ihren Studenten mitgeben?
Das möchte ich mal in zwei großen Kategorien mit mehreren Subkategorien erläutern. Bei dem einen Thema geht es um die Frage von Professionalität: Wie handle ich als Sozialarbeiter in der sozialen Arbeit? Was braucht es dafür? Da gibt es verschiedene fachlich-methodische Zugänge, aber auch ethische Fragen, die dazugehören. Und die andere große Kategorie wären soziale, menschliche Fragen, weil wir ja gerade in der sozialen Arbeit – das trifft grundsätzlich auf jeden Beruf zu, aber in der sozialen Arbeit noch stärker – sind wir ja als Mensch auch sozusagen Werkzeug oder selber Methode in dieser Arbeit und wir bringen ja ganz viel mit, also unsere Biografie, unsere Haltung, die wir privat, persönlich haben, die lassen wir nicht außen vor, sondern die spielt in der Arbeit eben eine große Rolle. Ich würde schon sagen, schon bei der Entscheidung für diesen Beruf spielt das eine enorme Rolle. Die Frage ist dann immer: Wie wird das reflektiert und eingeordnet? Also: „Wie ist meine persönliche Identität und wie sehe ich das mit Blick auf berufliche Identität und Selbstkonzept? Ist es kongruent, passungsfähig? Wo entstehen vielleicht auch Spannungen zwischen einer eigenen biographischen Erfahrung, auch Erwartungen, Idealen und dann den Herausforderungen, die es in der Praxis eben gibt.
Ich denke, da ist es gut, wenn wir den Studierenden im Studium ein Stück mitgeben, was es gibt, wie sie damit umgehen können, sie einfach auf das, was da kommt, vorzubereiten. Das sind die zwei großen Dinge, die ich den jungen Menschen mitgeben will.
Es braucht diese theoretische Grundlagenbildung, um am Ende in der Praxis auch bestehen zu können.
Ja, und gleichzeitig immer wieder zu sagen: „Sie gehen hier nicht raus und sind perfekte SozialarbeiterInnen“. Sondern die Professionalisierung beginnt eigentlich nach dem Studium im Beruf und dauert mehrere Jahre und dafür braucht es Fort- und Weiterbildung, Supervision, Teamberatung, Selbstreflexion, Fallexpertise. Wir können hier ein Fundament legen und dann muss das wachsen. Dass die ganze Reifung eine Herausforderung ist, aber auch Spaß machen kann, ist wichtig zu vermitteln.
Glauben Sie, dass sich der Beruf verändern wird? Und wenn ja, inwiefern?
Soziale Arbeit unterliegt ständigen Veränderungsprozessen, weil wir in einer Profession arbeiten, die mit den Zuständen, Gegebenheiten, Entwicklungen der Gesellschaft hantiert. In den letzten Jahren gab es große Herausforderungen. Migration ist beispielsweise in der Sozialen Arbeit schon immer ein wichtiges Thema. Auch wenn es im historischen Verlauf immer wieder Wellen geben wird, was die Migrationsbewegungen betrifft, aber das wird ein Thema bleiben, was uns beschäftigt.
Das andere große Thema ist einfach die Politik. Wir sind stark abhängig von Steuergeldern und Sozialversicherungen. Da wissen wir gerade nicht, in welche Richtung es geht, wohin wir uns entwickeln. Es gibt erste Kürzungen in Bereichen, die schon sehr einschneidend sind und das wird die Soziale Arbeit eben betreffen, weil sich dann die Frage stellt: „Wie können wir mit geringeren Mitteln immer noch professionell eine Arbeit machen, hinter der wir auch stehen können?“
Außerdem werden uns die digitalen Veränderungen auch weiter begleiten und herausfordern. Aber das ist etwas, wo wir momentan noch nicht so richtig wissen, wohin wir uns bewegen. Da spielen Fragen von Datenschutz eine große Rolle, da spielen Fragen von den Adressatinnen und deren Nutzerverhalten eine große Rolle. Das reicht von Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen bis ins Seniorinnenalter hinein. Und die Frage ist: Wie wird KI zukünftig auch die Soziale Arbeit selbst beeinflussen? Wenn die Politik in Richtung Effizienz und Effektivität schaut, Gelder sparen will, dann könnte das möglicherweise dazu führen, das überprüft wird, welche Prozesse in der Sozialen Arbeit können von künstlicher Intelligenz erledigt werden. Dann stellt sich die Frage, ob da eher eine De-Professionalisierung stattfindet, wenn bspw. Diagnostiken über KI-Modelle gemacht werden? In anderen Ländern gibt es das schon. England versucht bei Risikomodellanalysen im Kinderschutz, KI mit Daten zu füttern und heraus kommt dann eine Risikoanalyse: Das und das Kind oder die und die Familie weist Gefährdungspotenziale auf. Also das, was wir aktuell noch selbst machen und was im Vier-Augen-Prinzip geprüft werden muss. Eine KI kann den Prozess vielleicht ergänzen, aber inwieweit und wer am Ende entscheidet, muss diskutiert werden. Das ist eine große Herausforderung, damit umzugehen. Wir können es nicht ignorieren. Wir brauchen aber Standards, um die Verwendung von KI fachlich, ethisch zu rahmen.
Haben Sie sich persönlich Ziele als Professor gesetzt?
Das wichtigste Geschäft für eine Hochschule ist eine gute Lehre zu machen. Mein Anspruch ist zu versuchen, dass meine Lehrveranstaltungen von den Studierenden positiv gesehen werden, dass sie gerne kommen und sagen, da nehmen wir uns was mit. Und weil wir gerade über die Entwicklung gesprochen haben, kann ich nicht sagen, was ich heute mache, lehre ich auch noch in zehn Jahren. Sondern ich möchte mit der Zeit gehen, die verschiedenen Entwicklungen im Blick haben, auch die Perspektiven jüngerer Generationen einbeziehen und dann eben eine gute Lehre machen.
Früher habe ich stark zu den Themen sexualisierte Gewalt und Sexualpädagogik, sexuelle Bildung geforscht. Das bildet sich in der Lehre der sozialen Arbeit weniger ab. Das sind wichtige Themen, aber die haben in einem generalistischen Bachelorstudium keinen umfangreichen Platz. Trotzdem ist es wichtig zu schauen, wo können wir sie platzieren, wo können wir Räume finden, um darüber zu sprechen, weil das Themen sind, die die Studierenden schon im Praktikum, aber eben auch in der Praxis haben werden. Also jeder Mensch hat eine Sexualität und wenn ich mit Kindern, Jugendlichen oder auch älteren Menschen arbeite, die in Einrichtungen sind, dann wird es früher oder später ein Thema werden. Zum einen stellt sich die Frage, wie wir damit allgemein umgehen und zum anderen, wie wir sexualisierter Gewalt vorbeugen. Aktuell finden wir Fälle im Leistungssport, aber eben auch in pädagogischen Kontexten, wo es Übergriffe von Fachkräften gibt. Kinderschutz, das ist auch ein großes Thema. Wie können wir Kinder schützen? Was machen wir, wenn es zu einem Vorfall kommt? Wie können wir gut intervenieren? Hierfür möchte ich die Studierenden sensibilisieren.
Woran arbeiten Sie gerade, wenn Sie keine Lehre machen?
Ich arbeite gerade an einem Lehrbuch für die Einzelfallhilfe in der Sozialen Arbeit. Das mache ich als Professor gerne und ich finde es wichtig auch zu publizieren. Das Buch soll jetzt im Mai beim Verlag abgegeben werden und dieses Jahr noch erscheinen.
Ein anderes Projekt, an dem ich gerade zusammen mit einem Kollegen aus Merseburg sitze, ist ein Sammelband zu Leaving Care. Da geht es um Jugendliche, die aus Pflegefamilien oder aus der Heimerziehung mit 18 Jahren ausziehen und ins eigene Leben starten. Dieser Übergang ist - aus Forschungsperspektive könnten wir sagen, es ist spannend - aber für die betroffenen Kinder und Jugendlichen ist es eine immense Herausforderung, weil sie oft alleine dastehen. Für das Buch haben wir verschiedene ForscherInnen, WissenschaftlerInnen, PraktikerInnen, auch Careleaver aus Deutschland, der Schweiz, Österreich und Südtirol, also Italien eingeladen ihre Beiträge dazu zu veröffentlichen. Mit dem Sammelband wollen wir dieses Thema in die Diskussion bringen. Weil die Jugendlichen an diesen Schnittstellen zwischen sozialen Institutionen wie Jugendamt und Jobcenter stehen und dann manchmal in eine Lücke fallen. Die einen wollen nicht mehr zuständig sein oder können nicht, die anderen fühlen sich noch nicht zuständig. Die Frage ist, was passiert dann?
Herzlich Willkommen an unserer Fakultät!
Wissenschaftlicher Werdegang von Prof. Dr. Torsten Linke
2020-202 Professur für Sozialarbeitswissenschaft mit den Schwerpunkten Einzelfallhilfe, Sozialmanagement und Ethik in der Sozialen Arbeit, Hochschule Zittau/Görlitz
2016-2020 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im BMBF-Forschungsprojekt „Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Traumatisierung”, Hochschule Merseburg
2015-2019 Promotion, kooperatives Verfahren, Universität Kassel und Hochschule Merseburg, Thema: Sexuelle Bildung in der Kinder- und Jugendhilfe.
2014-2016 Lehrbeauftragter für besondere Aufgaben im BA-Studiengang Soziale Arbeit, Hochschule Merseburg
2010-2013 Masterstudium Angewandte Sexualwissenschaft (M.A.), Hochschule Merseburg
2002-2007 Diplomstudium Sozialarbeit/Sozialpädagogik, Hochschule Merseburg