1848. Europa im Ausnahmezustand
Revolutionen, Terroranschläge, Epidemien und Naturkatastrophen werden von modernen Staaten zum Ausnahmezustand erklärt und mit außerordentlichen Maßnahmen bekämpft. Während dieser schweren Krisen, die das Bestehen des Staates vermeintlich oder tatsächlich gefährden, werden liberale Grundrechte eingeschränkt, gewaltsame Repression legitimiert und in einigen Fällen auch demokratisch gewählte Parlamente entmachtet. Was können wir aus der Geschichte des Regierens im Ausnahmezustand lernen? In welchen Epochen spielten die Idee und die konkrete Gestaltung des Ausnahmezustands eine zentrale Rolle im gesellschaftlichen und politischen Diskurs? In meinem Vortrag werde ich zeigen, dass die Revolutionen von 1848/49 die erste große Krise waren, die eine breite öffentliche Debatte über den zeitgenössisch so bezeichneten Belagerungszustand auslöste. Diese erste moderne Form des Ausnahmezustands erreichte in Gesetzgebung, Medien und Alltag europaweit eine noch nie dagewesene Bedeutung. Mit Blick auf Frankreich, Deutschland und Italien rekonstruiert der Vortrag die konkreten Maßnahmen, Erfahrungen, medialen Inszenierungen und Konflikte, die aus der Verhängung des Belagerungszustands resultierten.
Amerigo Caruso ist seit April 2021 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Bonn tätig. Zuvor führten ihn verschiedene Stationen als Postdoc nach Greifswald, Padua und Nancy. Sein Studium der Politikwissenschaft und Geschichte (BA) sowie Globalgeschichte (MA) hat er an der Universität Mailand zwischen 2004 und 2010 absolviert. 2017 schloss er das Dissertationsprojekt über die Nationalstaatsgründung in Deutschland und Italien an der Universität des Saarlandes ab. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen zum einen auf der historischen Gewalt- und Sicherheitsforschung mit Blick auf soziale Konflikte und politische Krisen, zum anderen auf der Geschichte politischer Ideen, insbesondere den Themenkomplexen Konservativismus, Nationalismus und Antifeminismus sowie der Monarchie- und Elitengeschichte im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Seit 2021 arbeitet er an seinem Habilitationsprojekt über die transnationale Geschichte von Diskursen, Normen und Praktiken des Ausnahmezustands zwischen Frankreich, Italien, Deutschland und ihren jeweiligen Kolonien.