Spazieren-Gehen. Wer sich zu Fuß auf den Weg macht, nimmt die Welt anders wahr – nicht nur mit den Augen, sondern mit dem ganzen Körper. Gehen ist eine sinnliche Praxis. Eine Kreuzung, eine Biegung, ein Umweg, ein Trampelpfad – Wege sind vielfältig.
Manche Wege sind vorgezeichnet. Sie lenken uns – oft unbemerkt. Andere entstehen erst durch das Gehen selbst: als Spur, als Geschichte im Raum. Sie erzählen Geschichten, wenn wir ihnen aufmerksam folgen. Wer achtsam unterwegs ist, entdeckt nicht nur den Weg, sondern auch, wie sich Raum anfühlt – wie Geräusche, Gerüche, Licht und Bodenbeschaffenheit zusammenspielen.
Bewusstes Gehen schärft den Blick für das, was Lucius Burckhardt das „Unsichtbare“ nennt: die leisen Spuren menschlichen Handelns, die Atmosphäre zwischen den Dingen, die kleinen Details, die unser Erleben formen. So wird das Gehen zur Methode – eine Art, Raum nicht nur zu durchqueren, sondern auch zu verstehen.
Was im Alltäglichen übersehen wird, kann im Gehen an Bedeutung gewinnen. In diesem Sinne ist Spazieren auch eine Form des Sprechens, wie Michel de Certeau es beschreibt: jeder Schritt ein Wort, jeder Umweg eine kleine Abweichung von der Norm. Gehen wird zu einem schöpferischen Akt.
Spuren dieser Kreativität finden sich in den Texten dieses kleinen digitalen Spazierbuchs. Sie sind im Rahmen des Seminars „Spazieren-Gehen“ entstanden – durch Bewegung, Beobachtung und Gespräche. Inspiriert von der Spaziergangswissenschaft Lucius Burckhardts wurden dabei neue Perspektiven auf Raum und Wahrnehmung entwickelt. Ein außenstehender Blick hat sie begleitet und grafisch weitergedacht.
Viel Freude beim Lesen und Betrachten.
Friedemann Affolderbach