Another Day In Paradise
Na, hängst du auch gerade an deinem MacBook und hast auf einem anderen Tab Facebook geöffnet, während du dich über mögliche Auslandsreisen informierst und diesen Reisebericht liest?
Dort, wo MacBooks und Facebook-Likes die Welt erblickten, habe ich als Sozialarbeiter eine Forschungsreise hingewagt. In die USA, dem Vorzeigestaat der Industriegesellschaft, der postindustriellen Gesellschaft und einem Land mit funktionierender Demokratie und Zivilge-sellschaft. In die Bay Area mit dem Silicon Valley, eine der reichsten und größten Metropolregion die ganz weit oben an der Weltrangspitze steht. Was forscht man da? Dort fährt doch eh jeder einen Tesla und kauft nur organic ein.
Ich möchte dir ein wenig von meiner Reise erzählen und dir gern dabei helfen, auch eine solche Forschungsreise zu wagen. Denn egal was du erleben wirst, die Forschungsreise wird spannender als die theoretische Arbeit deiner Freund*innen. Versprochen!
Ich bin auf die Idee gekommen, eine solche Reise zu wagen, da ich in meiner Stiftung, welche mir ein Stipendium bietet, darauf aufmerksam gemacht wurde, dass Studienreisen für Bachelor- und Masterarbeiten finanziell von der Stiftung unterstützt werden.
Da ich noch kein Thema für bald anstehende Masterarbeit hatte, dachte ich mir, baue ich die Möglichkeit doch mit in die Themensuche für die Thesis mit ein. Ich mag eh viel lieber praktisch zu arbeiten und ziehe dies jeder theoretischen Arbeit vor.
Zeitgleich mit der Themenfindung, kam ich nicht darum mitzuerleben, wie in den USA Donald Trump zum neuen Präsidenten gewählt wurde. Das damit gerade die Möglichkeiten einer Demokratie eine neue Tiefe erfahren haben, war unverkennbar. Täglich las ich Neues zu Trump. Nur zwei Tage nach Amtsantritt betrachtete ich das Foto von Trump, umkreist von ausschließlich alten weißen Männern. Er sitzt grinsend da und unterschreibt eine seiner ersten executive orders. Mit sofortiger Wirkung werden alle US-Gelder gestrichen, die an NGOs gingen, welche Zugang zu Verhütungsmitteln und Schwangerschaftsabbrüchen im Ausland unterstützten.
„Was hat er mit seiner Männergruppe über sowas einfach zu entscheiden?“ dachte ich mir und war damit in einem Thema von gewaltiger Größe angelangt: Aktuelle Ereignisse im (Sozial-)Staat USA. Soziale Arbeit und Trump? Einfluss trump‘scher Politk auf Einrichtungen Sozialer Arbeit? Ideen gingen in meinem Kopf umher. Aber der Knackpunkt war methodischen Ursprungs: Wie soll ich das messen?
Daher kam ich wieder etwas ab von Trump, war aber von der USA fasziniert. Über das Wahlverhalten der Arbeiter*innen-Klasse im Rust Belt und den Wahlerfolg durch die Swing Staates, kam ich zur Deindustrialisierung, Massenentlassungen und der Binnenmigration in den USA. Dabei fiel mein größtes Interesse auf eine mir ungekannte „Wohnform“ von wohnungslosen Menschen. Die Tent City, eine Ansammlung von slumartigen Wohnsiedlungen aus Zelten, Planen, Baracken und Einkaufswägen. Überall in der USA verteilt versuchen wohnungslose Menschen sich in kleinen Gemeinschaften zu überleben und zu organisieren.
Nachdem nun inhaltlich ein Rahmen aufgebaut wurde, ging es an die organisatorischen Dinge. Die Finanzierung musste geklärt werden. Visa, Reiseroute, etc.
Über die Hans-Böckler-Stiftung bekam ich relativ unkompliziert den größten Teil der Forschungsreise finanziert. Ich war aber komplett allein für die Durchführung verantwortlich. Solche organisatorischen Aufgaben machen mir immer große Freude. Ich setzte mich hin und las mich zu Visa-Angelegenheiten, möglichen Zielen und Transportmöglichkeiten ein.
Das lief alles wie am Schnürchen. Ich bekam über die Stiftung noch eine 1-monatige Sprachschule in Chicago, welche der Forschungsreise voranging. Bekam günstige Flüge und hatte auch keine Probleme mit dem Visa-Verfahren, obwohl ich umständlich zu einem Interview in die US-Botschaft nach Berlin musste. Der Besuch dort war auch prägend, man darf nichts, bis auf die Visapapiere und seine Kleidung mit reinnehmen. Handy, Schlüssel, Tasche musste abgegeben werden. Aber Schließfächer gab es nicht, nur eine ältere Frau im U-Bahn-Kiosk, die sich ein paar Euro dazu verdient, weil hunderte Visa-Antragsteller*innen ratlos vor der Botschaft stehen und nicht wissen wohin mit ihrem Schlüssel (ohne den man nun wirklich nicht das Haus verlassen kann). Sogar meinen Kaugummi musste ich dann noch bei den US-Beamten sichtbar in den Müll spucken. Ein fieses Verhör blieb aber aus. Einmal drinnen fühlte es sich an wie ein üblicher deutscher Behördengang. Ich erwartete das Verhör dann bei der Einreise am Flughafen. Leider wurde ich auch da etwas enttäuscht. Ich vermute, es lag wohl daran, dass ich als weißer europäischer Akademiker mit Forschungs-Visum eingereist bin.
Angekommen in den USA begann ich erstmal eine Sprachschule in Chicago. Ziel war es für die Forschung meine sprachlichen Fähigkeiten weiter zu perfektionieren und sich vor Ort etwas genauer auf die Forschung vorzubereiten. Ich besuchte eine Sprachschule mitten in Downtown in der 16. Etage eines der schicken Wolkenkratzer direkt am Start der Route 66, hatte dort einen perfekten Blick aus dem Unterrichtsraum auf den Lake Michigan und lebte in einer WG im Hipster-Viertel von Chicago. Das klingt alles sehr abgefahren und überhaupt nicht stimmig, wenn ich an die Forschung danach denke, aber so war es. Und ich fand es gut, denn das war eine, fand ich, sehr gute Möglichkeit das amerikanische Leben in einem reicheren Bezirk einer Großstadt und innerhalb der weißen Mehrheitsgesellschaft mitzuerleben und so den späteren Kontrast besser sehen und verstehen zu können.
In dem Monat in Chicago habe ich ganzen tollen Dinge die die USA zu bieten hat mitgemacht, es Begann mit dem Independence Day, einigen Konzerten, Ausstellungen, Freizeitpakts aber auch verschiedensten Fast-Food-Restaurant und riesigen BBQs oder dem Besuch des Google Offices.
Aber auch die Vorbereitung auf die Forschung war Teil meines Alltages in Chicago. Ich durchstreifte die Stadt und die Bibliotheken und wollte mir am Beispiel von Chicago ein wenig die Situation von wohnungslosen Menschen in den USA näherbringen. Und damit ich in der Zeit nach Chicago mobil bin und auch eventuelle Tent Cities erreichen kann, war es unumgänglich für mich mir ein Auto zu besorgen. Ich kaufte mir auf Craigslist, sowas wie Ebay Kleinanzeigen, ein altes (für amerikanische Verhältnisse) kleines Auto, einen Volvo Kombi. Im Hinterhof der Nachbarn fand ich eine alte Matratze, die ich hinten reinwarf und schon konnte ich reisen und hatte zugleich einen Schlafplatz.
Nach der Sprachschule in Chicago bin ich dann noch eine Weile durch die USA gereist. Habe mir einige typische touristisches Orte angeschaut und habe währenddessen unzählige weitere Tent Cities gefunden. Dabei ist mir ganz besonders stark aufgefallen, wie viele wohnungslose Menschen überall in den USA, aber besonders in Bibliotheken (Chicago, Boston, Orlando, Salt Lake City, Cincinnati, Los Angeles, Berkeley) anzutreffen sind.
Ich entschied mich für den Versuch einer Forschung in Kalifornien. Auch da dort 24% aller wohnungslosen Menschen der ganzen USA leben.
Einen Tag nach dem heißesten Tag seit der Wetteraufzeichnung in San Francisco, kam ich dann, da ich als ich durch die Straßen lief und einer wohnungslosen Person ein kaltes Getränk anbat, ins Gespräch. Ich machte recht schnell deutlich warum ich hier bin und hatte durch einen Zufall auch sein Interesse geweckt. Ich hatte zufällig in der ZEIT vorher einen Artikel über wohnungslose in San Francisco gelesen und eine dort interviewte Person, war ein Bekannter von ihm. Er war fasziniert davon, dass in Deutschland über ihn geschrieben wurde und ich war von ihm fasziniert, da er so offen und freundlich mit mir über sein Leben und „Gott und die Welt“ redete. Ich fragte ihn, ob es für ihn ok ist, wenn ich nochmal kom-me. Er bejahte und schon war ich 2 Monate lang fast täglich dort. Nach und nach lernte ich seine Freund*innen kennen und studierte den Alltag und alle möglichen Rituale die ich entdeckte. Ich erlebte wie sie aufgrund einer defekten Ampel von Ihrem Platz vertrieben wurden, half beim Umzug und Aufbau des neuen Camps, durchwühlte gemeinsam Müll, lernte wie man an einer Ampel Strom abzapft, durfte mir den neusten Gossip von der Straße anhören und wer mit wem gerade flirtet, lief aufgrund von Waldbränden ganz in der Nähe tagelang mit Mundschutz rum, war dabei als sanitäre Anlagen für sie bereitgestellt wurden, wurde von der Lokalpresse entdeckt und interviewt, nahm an einem halbwegs missionarischen Gottesdienst teil, nur um eine warme Mahlzeit zu bekommen, diskutierte über Trump, Drogen, Deutschland, musste Erste-Hilfe leisten; bekam gelehrt, wie man am erfolgreichsten schnorrt und auch ein paar Dinge, die ich hier öffentlich nicht nennen werde.
Mein Alltag sah wie folgt aus:
Ich schlief im Auto. Die Empfehlung bekam ich recht schnell von anderen Tent-City-Bewohnern, da der Schlafplatz im Vergleich zum Zelt, abschließbar, beweglich und unauffälliger war.
Später habe ich sogar Anleitungen in der Lokalpresse gefunden, wie man am besten im Auto übernachten kann. Die Zielgruppe war absurderweise die Studierendenschaft, da es auch aufgrund des umkämpften Wohnungsmarktes auch unzählige wohnungslose Student*innen gibt, aber das öffnet nun ein weiteres großes Themenfeld.
Die Toilette am Morgen und ein kleines Frühstück hatte ich in einem benachbarten Park. Die öffentlichen gepflegten Toiletten nutzten einigen Wohnungslose. Danach setzte ich mich in die Universitätsbibliothek der Uni Berkeley und schrieb an den Beobachtungsprotokollen.
Dank „eduroam“ hatte ich da auch problemlos Zugang zum Internet. Nach ein paar Wochen erfuhr ich außerdem, dass im Nebengebäude das Institut von Judith Butler ist. Leider sah ich sie nie.
Danach verbrachte ich den Rest des Tages in der Tent City. Ich setze mich meist einfach da-zu und wartete ab, was der Tag so mit sich bringt. Irgendwas passierte immer. Ich musste nur abwarten. Abends konnte ich dann die Sonne hinter der Golden Gate Bridge untergehen sehen. Was ich alles so erlebte, all die Details, habe ich dann alles in meiner Masterarbeit verschriftlicht.
Ich war 3 Monate wohnungslos und lebte auf der Straße, im Auto und im Wall Mart. Jetzt sitze ich hier, schreibe meinen Reisebericht zu Ende, checke nochmal kurz Facebook, schließe mein MacBook und gucken den Rest der Fahrt im ICE wohl nur aus dem Fenster.
Absurd
Corvin Busche