Ein Semester zwischen Tradition und Widerstand
Mein Erasmus+ Auslandsstudium an der Universität Coimbra in Portugal
»Ihr solltet nach Coimbra fahren, eine Unistadt, die auf jeden Fall einen Besuch wert ist!«. So oder so ähnlich klangen die Ratschläge, die eine Freundin und ich vor etwa zwei Jahren auf einer Reise durch Portugal erhielten. Wenige Tage später schlenderten wir durch die prachtvollen Gebäude der ältesten Uni Portugals, den steilen Hügel hinunter auf dem sie steht, durch die schmalen, verwinkelten Gässchen, die geschmückt sind mit kleinen, alten Häusern, bis runter zum Fluss Mondego, der zu beiden Seiten von Parkanlagen gesäumt wird. Zahlreiche sozialkritische und feministische Parolen an den Wänden, sowie die vielen »Repúblicas«, selbstverwaltete Wohnhäuser für Studierende, die von außen eher an besetzte Häuser erinnern, ließen mein Interesse an Coimbra und seiner Studierendenschaft weiter wachsen. Die Idee, ein Auslandssemester zu machen, hatte ich schon vor einer Weile gehabt und mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich den richtigen Platz hierfür gefunden hatte.
Zurück in Leipzig setzte ich mich also mit dem Akademischen Auslandsamt in Verbindung und traf auf große Bereitschaft, mich in meinem Vorhaben zu unterstützen. Einige Zeit später zählte die Universität Coimbra zu den Partnerhochschulen der HTWK Leipzig. Dadurch blieb mir sehr viel »Papierkram « erspart und ich konnte mich auf die Erasmus+ Förderung freuen. Ein weiterer wichtiger Teil meiner Vorbereitungen war es, einen Portugiesischkurs in Leipzig zu belegen, da mein Unterricht, wie an der Universität Coimbra üblich, auf Portugiesisch sein würde und ich ohnehin den Wunsch hatte, die Sprache zu erlernen.
Vorfreudig machte ich mich also im Spätsommer 2017 auf den Weg nach Coimbra, da das Semester dort bereits Anfang September beginnt. Über eine Bekanntschaft aus meiner letzten Reise lernte ich Leute kennen, die in einer der »Repúblicas« lebten, die mein Interesse bereits zuvor geweckt hatten und erhielt so die Möglichkeit, in einem Gemeinschaftshaus für Studierende zu leben, das seit über 80 Jahren besteht. Dort wird zusammen eingekauft, gekocht, jeden Tag gemeinsam gegessen und Entscheidungen, die das Haus betreffen, einstimmig in langen Versammlungen getroffen. Bezeichnend ist für mich, dass es in meinem Haus keine Hierarchie oder Machtgefälle zwischen uns gab und wir trotzdem oder gerade deswegen viele Nachmittage und Abende mit Veranstaltungen wie Konzerten oder gemeinsamem Essen füllten, um das Haus für Interessierte zu öffnen. Wichtig war mir ebenso, dass mein Haus, sowie andere »Repúblicas« sich gegen eine studentische Tradition namens »Praxe« ausdrücken, die in Coimbra leider noch eine sehr große Rolle spielt. Studierende in ihrem ersten Jahr müssen erniedrigende Aufgaben erfüllen, die ihnen ältere Studierende aufgeben dürfen, ähnlich wie wir es aus konservativen Studentenverbindungen kennen. Da die Mehrheit der Studierenden der »Praxe« angehört, fällt es jungen Menschen, die neu in Coimbra sind und Kontakte knüpfen möchten, oft schwer, sich dieser Tradition zu entziehen. Dies macht für mich den eindeutig größten Unterschied zur studentischen Kultur in Deutschland aus.
Wie ich es aus meinem Studium der Sozialen Arbeit an der HTWK Leipzig gewohnt war, waren meine Seminargruppen eher klein und die Betreuung durch die Professor*innen sehr persönlich. Die meisten meiner Professor*innen boten mir an, die Prüfungen auf Spanisch oder Englisch abzulegen und waren sehr nachsichtig mit anfänglichen Schwierigkeiten, Portugiesisch zu sprechen. Außerdem werden für ausländische Studierende kostenlose Portugiesischkurse angeboten.
Auch wenn das Kursangebot dem an der HTWK Leipzig ähnelt, findet Soziale Arbeit in Portugal auch aufgrund der anhaltenden Wirtschaftskrise unter erschwerten Bedingungen statt. Eine Thematik, die im Unterricht immer wieder aufgegriffen und diskutiert wurde.
Insgesamt empfand ich das Klima an der Universität als entspannt und freundlich und war überrascht von all den Angeboten außerhalb des Unterrichts. Die Universität hat ihr eigenes Radio, Tanz-, Theater und Musikgruppen und einige Sportangebote. Dadurch, dass die Uni so groß ist und neben dem Hauptcampus viele Institute, Lernräume und Cafés in vielen Teilen der Stadt hat, konnte ich in der Prüfungszeit beinahe jeden Tag woanders meinen Laptop aufklappen und mir den Nachmittag mit günstigem Kaffee und Snacks versüßen. Insgesamt lebt es sich in Coimbra günstiger als in Lissabon oder Porto und die Stadt ist meiner Meinung nach gut an die Bedürfnisse der vielen (ausländischen) Studierenden angepasst. Auch gibt es viel günstigen Wohnraum für Studierende, weswegen ich empfehlen würde, die Zeit vor dem Auslandsaufenthalt eher in einen Portugiesischkurs zu investieren, als in die Wohnungssuche.
Meine Zuneigung zur portugiesischen Gelassenheit, der melancholischen Musik und dem herzlichen Umgang miteinander hat sich in den letzten Monaten immer weiter verstärkt, weswegen ich sicher nach Coimbra zurückkehren werde und einen Aufenthalt an der Universität von Coimbra wärmstens empfehlen kann!
Annika Gerhard, ERASMUS+